Wuppertal
09:07 Uhr

Sehen und gesehen werden – Die ersten Passagiere der Schwebebahn

Das heutige Wuppertal stand vor 125 Jahren Kopf. Prominenter Besuch sorgte für einen großen Auflauf. Eine Zeitreise.
Kaiserwagen der Wuppertaler Schwebebahn
Kaiserwagen der Wuppertaler Schwebebahn, © Wuppertaler Stadtwerke
Ende November wird der Kaiserwagen der Wuppertaler Schwebebahn in der Dunkelheit wieder zu Testzwecken seine Runden drehen. Als einzige Fahrzeuge der Baureihe 1900 blieben die denkmalgeschützten Wagen Nummer 5 und 22 erhalten. Der Nostalgiezug ist für einen noch nicht bekannten Millionenbetrag mit vielen neuen Bauteilen sowie modernster Technik jahrelang restauriert und umgebaut worden. In der ersten Hälfte 2026 soll er nach der Planung der Stadtwerke wieder in Betrieb genommen werden. 

Vor genau 125 Jahren am 24. Oktober 1900 waren Kaiser Wilhelm II. und seine Gemahlin Auguste Viktoria die ersten Passagiere der Schwebebahn. Bereits vor der offiziellen Eröffnung der Bahn am 1. März 1901 fuhr das Kaiserpaar von Döppersberg nahe dem heutigen Wuppertaler Hauptbahnhof nach Vohwinkel. Die Sonderfahrt führte ungefähr über die Hälfte der letztlich 13,3 Kilometer langen Schwebebahntrasse. Auf dem Besuchsprogramm des Monarchen in Kommunen an der Wupper stand die Schwebebahn aber nicht an erster Stelle.

Ganz großer Bahnhof

"Überall glänzte es heute von Fahnen und farbigen Dekorationen; ein freudiges Schwarz-weiß-roth schmückt alle Häuser, und bewies, mit welcher Freude man dem Besuche des geliebten Kaiserpaares entgegensah", heißt es eingangs im ausführlichen Bericht der "Elberfelder Zeitung". Die Menschenmenge habe sich schon am frühen Morgen zusammengedrängt, von den Bahnhöfen "ergossen sich immer neue Ströme". Aus allen Teilen des Kreises sei man gekommen, um den Kaiser zu sehen. In Barmen weihte der Kaiser mit seinem Besuch die Ruhmeshalle ein, Kanonenschüsse verkündeten die Ankunft in Elberfeld. 

"Wuppertal hatte zu der Zeit 1900 knapp 300.000 Einwohner. Das heißt, es war die acht größte Stadt im Deutschen Kaiserreich, wenn man Elberfeld und Barmen zusammenzählt. Das war knapp hinter Köln und deutlich vor Düsseldorf oder auch größer als Essen", sagt Anne Sophie Overkamp, Juniorprofessorin für Historische Wissenschafts- und Technikforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Das heutige Wuppertal erlebte eine Boom-Zeit, wuchs rasant: "Allein zwischen 1880 und 1900 kamen 100.000 Menschen hinzu." 

Hochmoderne Stadt

"Wenn Leute damals eine Stadt erleben wollten, die voll durchindustrialisiert ist, dann konnte man nach Wuppertal fahren." Die Textilindustrie habe als Leitindustrie an der Wupper andere Industrien nach sich gezogen wie die Chemieindustrie. "Das ist ja kein Zufall, dass Bayer in Wuppertal gegründet wurde", sagt die Historikerin mit Verweis auf die Farbstoffherstellung, die am Bayer-Anfang stand. Oder Vorwerk: "Die Staubsauger kamen nach den Teppichen." Die Unternehmen seien eher mittelständisch geprägt gewesen. 

Historikerin Overkamp geht davon aus, dass der Kaiser die Einladung zur Fahrt mit der Schwebebahn sehr gern annahm. "Wilhelm II. war technikaffin. Von ihm gibt es auch alle möglichen Bilder im Auto, mit Luftschiff und so weiter. Die Marine war sein Steckenpferd. Und das war für ihn so eine Möglichkeit, sich als modern und zeitgemäß darzustellen", verdeutlicht sie. "Das Kaiserreich war gesellschaftlich sehr konservativ, aber gleichzeitig total technikverliebt und fortschrittsoptimistisch, was das anging. Das ist so eine seltsame Mischung und das findet man in der Person von Wilhelm II. sehr gut repräsentiert." 

Rathaus eröffnet

Der Kaiser war in kleiner Generalsuniform mit grauem Militärhohenzollernmantel und Helm bekleidet, beschrieb die Zeitung. Bei der Einweihung des Elberfelder Rathauses kam er mit Stadtverordneten ins Gespräch. Auf den Hinweis, dass Elberfeld 30.000 bis 40.000 Schulkinder habe, habe der Kaiser geantwortet: "Das sind ja eineinhalb Armeekorps". 

An der Schwebebahn erfolgte eine Vorstellung des Projekts. "Durch zahlreiche Zwischenfragen bewies der Kaiser das lebhafte Interesse, das der Bau bei ihm erregte." In verlangsamten Tempo fuhr die Schwebebahn auf dem gewundenen Schienenweg: im ersten Wagen Behördenchefs, im zweiten Kaiser und Kaiserin sowie im dritten das Gefolge. 

Sehen und gesehen werden

"Regimente waren auch dabei, Militärmärsche wurden gespielt, Schulkinder jubelten. So alles, was man sich unter dem alten Kaiserreich vorstellt, das findet man auch bei dieser Schwebebahnfahrt", beschreibt Overkamp. Ruhmeshalle und Rathaus eröffnet und Sonderfahrt mit der Schwebebahn: "Der Kaiser hat quasi drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen". Den Industriellen sei es darum gegangen, gute Kontakte zu den Regierungsbehörden zu pflegen. "Man wollte gesehen und gewürdigt werden. Also deswegen auch dieser ganze Zinnober und das Brimborium. Man hat den Kaiser, aber auch sich selbst gefeiert."

Für das System Schwebebahn, das der Zuckerfabrikant und Tüftler Eugen Langen entwarf, war die Sonderfahrt mit dem Kaiser kein Durchbruch. In den Metropolen rückten U-Bahnen in den Fokus, auch in Berlin. Nach dem System Langen ging in Dresden am 6. Mai 1901 eine Bergbahn in Betrieb, mehr Projekte wurden aber nicht umgesetzt. Erfinder Langen erlebte den Fahrbetrieb nicht, er starb 1895. Barmen, Elberfeld, Vohwinkel und weiteren Kommunen wurden 1929 zur Stadt Wuppertal. Die enge Taktung der Schwebebahn habe sicherlich dazu geführt, dass die Kommunen noch enger aneinander gerückt seien, meint Overkamp.
© Volker Danisch, dpa | Abb.: Wuppertaler Stadtwerke | 19.10.2025 09:07

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